Kapitel 1

Kapitel 1 ~ Dich ein Leben lang aufhalten

 

Hua Che hustete zweimal. In der großen und leeren Halle klang dies besonders laut.

Der Wächter, welcher bereits seit geraumer Zeit neben ihm kniete, zitterte leicht. Mit Schweißperlen auf der Stirn und Angst in den Augen sagte er: „Eure Majestät, Ihr solltet fliehen, bevor sie angreifen!”

Hua Che hatte das Gefühl, dass das Licht zu sehr blendete. Mit bloßen Händen drückte er auf den Docht einer Kerze und löschte somit die Flamme. Da er sich dabei zu langsam bewegt und auch nicht seine gesamte Kraft eingesetzt hatte, verbrannte ihm die Flamme seine Fingerspitzen und sengte sie rot an. Das war ihm jedoch reichlich egal. Er legte nur gelassen seine Hand auf sein Knie und fragte beiläufig: „Wohin soll ich denn fliehen?”

„Das ist vollkommen egal, nur bleibt nicht länger im Fenqing Palast!”

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich all die Sekten der Unsterblichen versammelt. Mit Yuntian Shuijing an der Spitze, der Fengming Schlucht und der unsterblichen Sekte Shangqing  als Unterstützung hatten sie sich zu einem Angriff gegen den Dämonenkönig zusammengetan. Von dem Kunlun Berg aus waren sie in den Süden gereist und hatten auf ihrem Weg jeden einzelnen dämonischen Kultivierenden getötet, ohne auch nur einmal Gnade walten zu lassen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie den Fenqing Palast erreichen würden.

Der Wächter wusste ebenfalls, dass die Überlebenschancen überaus gering waren, aber er konnte nicht anders, als noch einmal sein Bestes bei dem Versuch zu geben, seinen König zu überreden: „Solange die Berge grün sind, muss man sich keine Sorgen um Feuerholz machen. Reist im Reich der Dämonen umher, geht in die Geisterschlucht oder lauft in den Teil des Reichs der Sterblichen, wo alle Wesen zusammenleben. Solange ich atme, werde ich Euch auf jeden Fall beschützen!”

Hua Che legte sich träge auf das Liegesofa. Er schien nicht der Meinung zu sein, dass die bevorstehende Katastrophe sonderlich wichtig war. Müde sah er zu dem Wächter und sagte: „Der Fenqing Palast wurde schon gestern aufgelöst und tausende von dämonischen Kultivierenden sind bereits ihren eigenen Weg gegangen. Warum bist du noch hier?”

Majestät, ich habe Euch meine Treue geschworen und werde Euch bis in den Tod folgen!”, antwortete der Wächter.

Der Blick des Wächters war entschlossen und seine Stimme enthielt keinerlei Zweifel, aber Hua Che ließ die Treue seines Untergebenen kalt.

Im Reich der Unsterblichen wurde der rechtschaffende Weg von Yuntian Shuijing angeführt. All die verschiedenen Sekten hatten ihrem Ruf geantwortet und einen groß angelegten Angriff auf das Reich der Dämonen gestartet. Ihr Ziel war es, den Fenqing Palast dem Erdboden gleichzumachen und den Sektenführer Chu Binghuan zu retten.

Seit dem Anbeginn der Zeit war es den Unsterblichen und den Dämonen unmöglich in Frieden miteinander zu leben. Das Reich der Dämonen hatte schon immer ein Auge auf das Reich der Unsterblichen geworfen und das Reich der Unsterblichen hatte schon immer Angst vor dem Reich der Dämonen gehabt, weshalb es die Dämonen so schnell wie möglich loswerden wollte. Obwohl es bereits seit Zehntausenden von Jahren immer wieder Kriege und kleine Kämpfe gegeben hatte, waren diese zum Wohle der gewöhnlichen Menschen auf der ganzen Welt nie sehr schlimm ausgefallen und hatten keine Flüsse aus Blut entstehen lassen. Dieser verzweifelte Angriff auf das Reich der Dämonen war nur aus einem Grund geschehen: Der Heilige des unsterblichen Reichs, jemand der von allen Unsterblichen verehrt wurde, war entführt worden.

Um genau zu sein, war er zur Hochzeit gezwungen worden.

Der Dämonenkönig Hua Che, welcher dafür bekannt war unschuldige Menschen zu ermorden, hatte einen abscheulichen und verachtenswerten Komplott benutzt, um dem Heiligen seine Kultivierung zu entziehen. Er hatte ihn mit purer Gewalt gefangen genommen, eingesperrt und ihn dazu gezwungen, sein Taoisten-Gefährte zu werden. Sobald diese Angelegenheit an die Öffentlichkeit geraten war, waren alle vollkommen empört gewesen. Ganz Yuntian Shuijing war in Flammen des Zorns gehüllt gewesen und hatte verkündet Hua Che in Stücke zu reißen. Ein Meister der unsterblichen Sekte Shangqing, welcher auch Chu Binghuans Lehrer gewesen war, war so wütend gewesen, dass er augenblicklich Blut erbrochen und dreimal hintereinander “Er ist so schamlos!” geflucht hatte.

Wer war Chu Binghuan? Er gehörte zu einer überaus bekannten Familie und war bereits in sehr jungen Jahren berühmt geworden. Chu Binghuan galt als elegant und anmutig, kühl und abweisend. Mit seinem Schwert Tingquan hatte er bereits unzählige, heimtückische, böse Geister getötet und sein eiskaltes Herz hat bereits viele Menschen auf der ganzen Welt gerettet!

Wer war jedoch Hua Che? Seine Mutter war eine Prostituierte gewesen, die mit Tausenden von Männern geschlafen hatte und sein Vater war ein Dämon, den Tausende von Menschen töten wollten. Er stammte aus armen Verhältnissen und hatte Glück gehabt, von einem berühmten Meister unterrichtet zu werden, aber er war dafür keineswegs dankbar gewesen. Stattdessen hatte er eine grausame Tat begangen, seinen Meister verraten, seine Vorfahren enttäuscht und den unsterblichen Weg verlassen, nur um das Reich der Dämonen zu betreten. Eine einzige Meinungsverschiedenheit konnte dafür sorgen, dass er eine ganze Familie abschlachtete. Er hatte zwar ein wunderschönes Gesicht, aber das Herz eines Dämons. Obwohl er gut aussah war sein Innerstes verdorben, schmutzig, düster und verfault!

Auch als ihn jeder verurteilte, besserte sich Hua Che nicht. Stattdessen schoss er unerwarteterweise über das Ziel hinaus und begehrte Sektenführer Chu, der von jedem respektiert wurde. Er beging sogar vollkommen unaussprechliche Taten und missachtete dabei alle möglichen moralischen Grundsätze!

Dadurch beleidigte Hua Che alle unsterblichen Kultivierenden und wurde der erste Dämonenkönig seit der Gründung des Fenqing Palastes, der von jedem verflucht wurde.

Dämonische Kultivierende haben schon immer gekämpft und getötet, weshalb sie auch keine Angst vor einen Angriff der unsterblichen Kultivierenden hatten. Allerdings hatte Hua Che im kritischsten Moment die Auflösung des Fenqing Palastes befohlen. Egal wie stark der Kampfgeist der dämonischen Kultivierenden war, sie wussten dass sie einen Kampf mit einer riesigen Gruppe unsterblicher Kultivierender niemals ohne Anführer überstehen würden. Ohne Hua Che und seine einzigartige Kultivierung als Rückendeckung war dieser Kampf zum Scheitern verurteilt.

Das war auch der Grund, weshalb sie alle so schnell wie möglich flohen und um ihr Leben rannten.

Die dämonischen Kultivierenden konnten es nicht verstehen. Obwohl Hua Che eine lange und dunkle Lebensgeschichte hatte und aufgrund seiner bescheidenen Herkunft oft kritisiert worden war, war er ohne Zweifel sehr stark.

Als das Reich der Dämonen noch nicht vereint gewesen war, hatten unzählige dämonische Kultivierende versucht, sich den Thron zu erkämpfen. Es war überaus chaotisch gewesen. Hua Che hatte im Alleingang den Fenqing Palast übernommen, alle Parteien vereint und war der Dämonenkönig geworden.

Selbst heute noch war Hua Che die unangefochtene Nummer Eins im Reich der Dämonen.

Warum sollte solch ein Dämonenkönig einfach kampflos aufgeben?

Obwohl sie sich den Kopf zerbrachen, verstanden es die dämonischen Kultivierenden nicht. Der Wächter hatte jedoch eine vage Vermutung. Wenngleich sich der Wächter niemanden auf der Welt vorstellen konnte, der Hua Che bis zu diesem Grad verletzen konnte, hatte dieser vor einigen Tagen eine Wunde durch irgendetwas erlitten.

Hua Ches Gesicht war leichenblass und seine Atmung unregelmäßig. Die reine Energie, welche seinen Körper umgab, war manchmal stark und manchmal schwach. Wenn Hua Che nicht solch eine überragende Kultivierung hätte, wäre er vermutlich schon lange tot umgefallen.

Nicht zu kämpfen und stattdessen eine Niederlage zu verkünden, den Fenqing Palast so frühzeitig aufzulösen, all das geschah, um weitere Verluste zu vermeiden.

Schwer verletzt und am Rande des Todes.

Diese sieben Wörter flammten in dem Kopf des Wächters auf und setzten sich schließlich dort fest. Gier blitzte in seinen Augen auf, aber er versteckte sie sorgfältig und hob dann langsam den Kopf, um Hua Che in die Augen zu sehen.

Dämonische Kultivierende waren alle grausam und bösartig. Wie konnte man bei ihm so etwas wie aufrichtige Gefühle erwarten, wenn er diese Situation nutzen konnte, um an Hua Ches Seele zu gelangen?

„Es gibt etwas, das du für mich erledigen musst”, sagte Hua Che plötzlich. Der Wächter war für einen Moment überrascht, aber ermahnte sich sofort gedanklich, dass er nicht zu vorschnell sein sollte. Er verbeugte sich schnell, senkte die Augen und sah dann eine Tasche aus Brokat über sich schweben.

„Bringe sie Sektenführer Chu. Sag ihm, dass er in dem Bambushaus auf mich warten soll” Starke Müdigkeit war in Hua Ches Gesicht zu erkennen, aber seine wunderschönen Phönixaugen leuchteten weiterhin hell. Er sah den Wächter mit einem spöttischen Blick an. „Befolge einfach meine Befehle. Sei gehorsam und denke gar nicht erst daran, irgendetwas hinterlistiges zu tun, ansonsten...”

Das Herz des Wächters setzte einen Schlag aus, als eine unsichtbare Kraft auf ihn niedersauste. Er brach augenblicklich zitternd auf dem Boden zusammen.

Hua Ches Mundwinkel verzogen sich zu einem blutrünstigen Lächeln. „Meine Seele kann nicht jeder begehren”

Der Wächter fing an stark zu schwitzen. Er hätte niemals gedacht, dass Hua Che selbst jetzt noch die Fähigkeiten dazu besaß, so etwas mit solch einer Leichtigkeit zu machen!

Sein gerade entstandenes Interesse daran, Hua Ches Seele an sich zu reißen, wurde im Keim erstickt, ohne überhaupt die Möglichkeit gehabt zu haben zu wachsen. Zu Tode verängstigt antwortete der Wächter immer wieder mit “Jawohl” und ging mit stark zitternden Beinen hinfort, um dem Befehl folge zu leisten.

Hua Che lehnte sich eine Weile gegen das Liegesofa, während er den stechenden Schmerz ertrug, der von all seinen Organen ausging. Er hatte keinen Spiegel zur Hand. Hätte er einen, könnte er sehen, wie schrecklich sein Gesicht gerade aussah.

Er war tatsächlich kurz davor zu sterben.

Es hatte keinen Angriff aus dem Hinterhalt gegeben und er war auch von niemandem in eine Falle gelockt worden.

Bereits in dem Moment, in dem er seinen Meister verraten und seine Vorfahren enttäuscht hatte, hatte er gewusst, dass sein Leben in Gefahr war und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis dieser Augenblick gekommen war.

Hua Che zwang sich dazu, etwas fröhlicher zu sein und ging zu dem Bambushaus.

Er durchquerte einen farbenfrohen Ahornwald, blieb dann aber stehen und spottete: „Ältester Qianyang, seid Ihr als Vorhut hier?”

Sobald er das gesagt hatte, kam der Älteste Qianyang, welcher ihm bereits seit einer Weile heimlich gefolgt war, aus seinem Versteck heraus. Er war Chu Binghuans Meister. Sein geliebter Schüler war eingesperrt worden und durchlebte in den Händen des Teufels ein Leben, das schlimmer war als der Tod. Als sein Meister ergriff er natürlich die Initiative, um als Vorhut zu kämpfen.

Aufgrund von Hua Ches Ruf hatte es der Älteste Qianyang jedoch nicht gewagt, zu voreilig zu handeln. Nachdem er Hua Che allerdings beobachtet hatte, hatte er festgestellt, dass dieser tatsächlich schwer verletzt war. Das sorgte bei dem Ältesten Qianyang für ein Hochgefühl. Seine Chancen darauf, diesen Dämon zu besiegen, waren dadurch um einiges gestiegen.

„Deine erste Sünde ist es, dass du den dämonischen Weg eingeschlagen, deinen Meister verraten und deine Vorfahren enttäuscht hast. Deine zweite Sünde ist es, dass es dich nach Blut dürstet und du ganze Familien auf dem Gewissen hast. Deine dritte Sünde ist es, dass du Sektenführer Chu als Geisel genommen hast. Deine vierte Sünde ist es, dass du den Sektenführer meiner unsterblichen Sekte Shangqing ermordet hast”, fasste der Älteste Qianyang kurz und knapp Hua Ches schwerere Verbrechen zusammen. Bevor er auch noch seine kleineren Verbrechen aufzählen konnte, entgegnete Hua Che spöttisch: „Du sagst also, dass ich Lu Yao getötet habe?”

„Stimmt das etwa nicht?” In dem Blick des Ältesten Qianyang war Strenge zu erkennen. „Der Dämonenkönig hatte schon immer so viel Rückgrat, dass er die Verantwortung für seine Taten übernommen hat. Du wagst es also nicht, diese Tat zuzugeben?”

Lu Yao war Hua Ches Shidi gewesen.

Als Hua Che noch jünger gewesen war, hatte er sich zusammen mit Chu Binghuan der unsterblichen Sekte Shangqing angeschlossen. Zu dieser Zeit war die unsterbliche Sekte Shangqing die größte Sekte im Reich der Unsterblichen gewesen. Sie hatte achttausend Schüler besessen, von denen jeder überragend gewesen war und dazu noch Hua Che und Chu Binghuan, welche Kultivierungsgenies waren, wie man sie seit eintausend Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Es war eine großartige und prächtige Zeit gewesen.

Chu Binghuan war der Schüler des Ältesten Qianyang gewesen, während Hua Che von dem Sektenführer ausgewählt worden und somit zu dessen direkten Schüler geworden war. Der Sektenführer hatte nur einen Sohn gehabt und dieser war Lu Yao gewesen. Aufgrund von Hua Ches Talent in der Kultivierung, war er später Lu Yaos Shixiong geworden.

Einige Zeit später hatte Hua Che seinen Meister zusammen mit all den Schülern, welche Sektenführer Lu unterstanden hatten, umgebracht. Von den achttausend Schülern der unsterblichen Sekte Shangqing hatte er so viele getötet, dass nur noch dreitausend übriggeblieben waren. Nach dieser Katastrophe war die Stärke der unsterblichen Sekte Shangqing beinahe verschwunden und sie hatte sich nie wieder davon erholen können. Der Titel der Nummer Eins aller Sekten der Unsterblichen war damit an Yuntian Shuijing gegangen, welche der unsterblichen Sekte Shangqing dicht auf den Fersen gewesen waren.

Lu Yao, welcher Sektenführer geworden war und sowohl die Feindseligkeit gegenüber des Mörders seines Vaters als auch den Hass seiner Sekte beherbergte, war daraufhin natürlich der unbeugsame Feind von Hua Che geworden.

In einem kritischen Moment hatte Hua Ches Meister seine eigene Seele geopfert, um einen Symbiosefluch auf die beiden zu legen, damit Hua Che Lu Yao nichts antun konnte.

Obwohl er “Symbiosefluch” genannt wurde, war er in Wirklichkeit ein einseitiger Fluch. Wenn Lu Yao sterben sollte, würde Hua Che ebenfalls sterben. Sollte Hua Che jedoch sterben, würde Lu Yao überleben.

Das bedeutete, dass wenn Hua Che leben wollte, er Lu Yao nicht nur kein Haar krümmen konnte, sondern ihn auch noch jederzeit vor möglichen Gefahren beschützen musste.

Hua Che hatte bereits lange gewusst, dass Lu Yao ihn in dem Moment, in dem er von dem “Symbiosefluch” erfahren würde, mit sich in das Grab nehmen würde.

Deshalb lächelte Hua Che nur ruhig und sagte beiläufig: „Lu Yao hat Selbstmord begangen. Das hat nichts mit mir zu tun”

Der Älteste Qianyang sah aus, als hätte er gerade den besten Witz der Welt gehört. „Er soll Selbstmord begangen haben, obwohl er sich noch nicht an dem Mord seines Vaters gerächt hat!?”

„Ihr könnt ihn auch selber fragen”, erwiderte Hua Che. „Es sind noch keine sieben Tage seit seinem Tod vergangen. Wartet einfach, bis er wieder in die Welt der Lebenden zurückkehrt und fragt ihn dann. Ansonsten könnt Ihr Euch auch sofort erhängen, um in das Geisterreich zu gelangen. Dort könnt Ihr ihn augenblicklich aufsuchen und fragen”

Es machte den Ältesten Qianyang überaus wütend, dass er in solch einem Moment verspottet wurde. Durch seinen alten und neuen Hass angespornt, zog er sein Schwert und stürmte auf Hua Che zu.

Zum Glück war nur der Älteste Qianyang hier. Hua Che holte sein spirituelles Schwert Jifeng hervor, welches er bereits seit seiner Geburt besaß. Spirituelle Waffen besaßen eine Seele, weshalb das Schwert von alleine die Initiative ergriff und mit dem Schwert des Ältesten Qianyang aneinanderprallte. Sie fingen an miteinander zu kämpfen und schienen sich nicht voneinander trennen zu wollen.

Hua Che konnte es sich nicht leisten, noch mehr Zeit zu verlieren. Er nutzte sein spirituelles Schwert, um den Ältesten Qianyang aufzuhalten und ging tiefer in den Ahornwald hinein. Eingebettet zwischen Bergen und Flüssen befand sich dort das Bambushaus. Hua Che trat ein.

Sowohl von innen als auch von außen waren dieses Bambushaus und Chu Binghuans Wohnsitz in Yuntian Shuijing genau identisch. Das kam daher, dass Hua Che es extra so für Chu Binghuan gebaut hatte, um dessen Heimweh zu lindern.

Das Bambushaus war leer. Chu Binghuan war noch nicht gekommen.

Das spielte jedoch keine Rolle, denn Hua Che würde hier sowieso sterben. Ob Chu Binghuan nun früher oder später kam, machte keinen Unterschied.

Sobald die Armee des unsterblichen Wegs am Fuße des Berges diesen Ort angreifen würde, würden sie nur den Dämonenkönig sehen, welcher in dem Bambushaus auf elende Art und Weise verstorben war und Sektenführer Chu, der neben seiner Leiche stand.

“Chu Binghuan hat den Dämonenkönig mit seinen eigenen Händen getötet” Welch lobenswerte Leistung das wäre!

Wenn diese Zeit kommt, würden ihm Tausende von Menschen Lobeslieder singen und alle würden diese Leistung auf ewig in Erinnerung behalten.

Hua Che hatte Chu Binghuans Kultivierung nicht zerstört, sondern sie lediglich vorübergehend versiegelt. Das was in dieser Brokattasche gewesen war, war die Methode zur Freisetzung seines goldenen Kerns.

Nach dem heutigen Tag wird Chu Binghuan noch immer der Sektenführer Chu sein, der von allen gelobt wird und er wird auch noch immer der unsterbliche Herr Yunmiao sein, dessen starke Kultivierung die neun Staaten unterstützen kann.

Hua Che stützte sich an der Kante des Tisches ab. Er hatte Tag und Nacht all seine Kultivierung zusammengekratzt, um gegen den Symbiosefluch anzukämpfen. Nun beruhigten sich seine angespannten Nerven endlich und der Rückschlag fühlte sich an wie ein einstürzender Berg. Er schaffte es nicht, sich noch länger auf den Beinen zu halten, spuckte einen Mundvoll Blut und fiel auf den Boden.

Da Hua Che eh sterben würde, konnte er seinen Tod auch komplett Chu Binghuan schenken. Man konnte es auch als unbedeutende Widergutmachung für all die Jahre sehen, in denen er ihn eingesperrt hatte.

Seine und Chu Binghuans Vorfahren hatten ihre Hochzeit bereits vor ihrer Geburt arrangiert und ihr Band von dort an geformt.

Später hatten sie sich in ihrer Jugend getroffen und einander sehr zu schätzen gelernt. Hua Che war von Chu Binghuans Temperament und Aussehen erstaunt gewesen und hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Besonders Chu Binghuans edler, nobler Charakter und seine mitfühlende und hilfsbereite Persönlichkeit hatten es ihm angetan.

Unglücklicherweise hatte sich Chu Binghuan mit ganzem Herzen der Kultivierung gewidmet und keine Ahnung von der Liebe gehabt, weshalb er Hua Ches Bewunderung nie bemerkt hatte.

Bis heute hatte Hua Che keine einzige seiner Handlungen bereut. Er war der unübertroffene Dämonenkönig, der Führer des Reichs der Dämonen. Wenn ihm etwas gefiel, riss er es mit Gewalt an sich.

Wenn er jedoch die Möglichkeit hätte, irgendetwas zu wiederholen, dann würde er nichts davon erneut machen. Chu Binghuan dazu zu zwingen bei ihm zu sein, hatte dessen Kultivierungsweg zerstört und seinen Rang unter den Unsterblichen zunichtegemacht. Jede Person war ehrgeizig, aber Chu Binghuan war genau die Person, deren Talent die weltlichen Werte übersteigt. Was hatte Hua Che das also gebracht?

Hua Ches Sicht verschwamm allmählich. Plötzlich erkannte er eine unscharfe Silhouette, welche auf ihn zukam. Die Person schien irgendetwas zu rufen, aber Hua Che, dem bereits die Sinne schwanden, konnte es nicht verstehen.

„Es tut mir leid” Kurz bevor Hua Che starb, sprach er mit seinem beinahe verstreuten Bewusstsein seine letzten Gedanken laut aus. „Ich habe dich dein Leben lang aufgehalten”

Hua Che starb verhältnismäßig friedlich. Er hatte keinerlei Reue oder Widerwillen, sondern empfand stattdessen eine gewisse Erleichterung.

Unglücklicherweise zerstörte diese Art zu sterben seine Seele und sorgte dafür, dass er niemals wiedergeboren werden kann. Ansonsten wäre er wirklich gerne ein wandernder Geist geworden, um in den Fenqing Palast zurückzukehren und Chu Binghuans Reaktion in dem Bambushaus zu sehen.

Der Dämon, welcher sich ihm sein halbes Leben lang aufgedrängt hatte, war endlich tot und dazu noch auf solch eine tragische Art und Weise ums Leben gekommen. Chu Binghuan musste sehr glücklich und erleichtert sein, oder?

Hua Che konnte sich fast schon vorstellen, wie Chu Binghuan seinen Kopf hob und überglücklich den Himmel anlachte.

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„Junger Herr, junger Herr”

Hua Che erstarrte. Wer sprach da?

„Junger Herr, wacht bitte schnell auf. Wir haben Yuntian Shuijing erreicht”

Hua Che setzte sich geschockt auf. Das starke Licht zwang ihn dazu, die Augen zusammenzukneifen. Als sich seine Augen daran gewöhnt hatten, blickte er ungläubig zu einer alten Frau, die einen Hocker außerhalb der Kutsche abstellte.

„Das ist das erste mal, dass ihr den jungen Herrn Chu trefft, richtig? Die Familie Chu hat viele strenge Regeln und Yuntian Shuijing ist im Reich der Unsterblichen sehr bekannt. Junger Herr, Ihr müsst Euer Temperament zügeln. Ihr dürft nicht frech sein, sonst werdet Ihr zur Zielscheibe für den Spott anderer”, erklärte die alte Frau ernst. Dann strich sie Hua Ches zerzaustes Haar an den Schläfen glatt und richtete seinen Kragen. Sobald sie zufrieden war, überreichte sie ihm ein sorgsam aufbewahrtes Andenken, welches sich in einer kleinen Brokatschachtel befand.

„Das ist der Beweis für eure Verlobung. Verliert es nicht”

Als die alte Frau zwei Türsteher aus der Ferne auf sie zukommen sah, drängte sie ihn schnell: „Geht schnell! Ich alte Dienerin werde hier solange auf Euch warten.”

 

 

 

Erklärungen:

Fenqing bedeutet brennende Liebe. (Fen) = “verbrennen” oder “in Flammen aufgehen. (Qing) = “Gefühl” bzw. “Liebe”.

Yuntian Shuijing bedeutet wolkiger Himmel spiegelt sich im Wasser. (Yun) = Wolke. (Tian) = Himmel. (Shui) = Wasser. (Jing) = Spiegel.

Fengming bedeutet Phönixruf. (Feng) = Phönix. (Ming) = “rufen”, “singen” oder “ertönen”.

Shangqing bedeutet höchste Reinheit. (Shang) = “oben”, “höchste” oder “überlegen”. (Qing) = “klar”, “rein” oder “durchsichtig”.

Solange die Berge grün sind, muss man sich keine Sorgen um Feuerholz machen: Es ist ein Sprichwort für: Wo Leben ist, dort gibt es auch Hoffnung - oder auf die Geschichte übertragen: Solange Hua Che lebt, besteht Hoffnung für das Reich der Dämonen.

Tingquan bedeutet "der Quelle lauschen”. (Ting) = hören oder lauschen. (Quan) = Quelle oder Springbrunnen.

Ein Shidi ist ein jüngerer, männlicher Mitschüler der gleichen Sekte.

Ein Shixiong ist ein älteres Mitglied der gleichen Sekte.

Jifeng bedeutet klarer Wind nach dem Sturm. (Ji) = Das Ende eines Sturms. (Feng) = Wind.




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1 Kommentar:

  1. Leichte Verwirrung beim lesen..... aber bin dennoch gespannt wie es weiter geht. Los Gehts ! ^^

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